Die Soko „Blauer Dunst"
eine Ära ging zu Ende
von W. Maierhofer, Köln
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und seit Öffnung der Grenzen im Osten etablierte sich in Berlin und den neuen Bundesländern ein mörderischer Bandenkrieg der Zigarettenmafia, bei dem es um Riesensummen an schmutzigen Geldern aus dem illegalen Zigarettengeschäft ging und demzufolge der deutsche Staat Milliardenbeträge an Steuerschäden zu verzeichnen hatte. Dem Einzelhandel erwuchsen aus dem Schwarzmarktgeschäft mit den Schmuggelzigaretten ein immenser Kundenverlust sowie enorme Einnahmeausfälle.
Zur Bekämpfung dieser eindeutig der organisierten Kriminalität zuzurechnenden Deliktsfeldes und zur Unterstützung des Zollfahndungsdienstes der neuen Bundesländer wurde vom BMF im September 1991 die Sonderkommission „Blauer Dunst" eingerichtet. Diese Spezialtruppe unter Leitung des ZKA — ausgestattet mit besonderen und überregionalen Befugnissen — sollte vor allem in Berlin und den Brennpunkten des illegalen Zigarettenhandels in den neuen Bundesländern sowie an der Grenze zu Polen und Tschechien aktiv werden.
Mit einer Mannstärke von 5o extra dafür ausgebildeten, erfahrenen und leistungsstarken Einsatzkräften sowie entsprechend hochwertiger Ausrüstung wurde der Kampf gegen den Zigarettenschmuggel, den illegalen Handel mit unversteuerten/unverzollten Zigaretten und die sich immer mehr verfestigenden Strukturen der überwiegend vietnamesischen, polnischen, russischen und deutschen Tätergruppierungen aufgenommen.
So war die Soko „Blauer Dunst" als geschlossene Einheit in der Zeit vom 18.9.1991
bis 20.12.1997 in insgesamt 10 Einsatzperioden mit unterschiedlich langen Einsatzzeiträumen (2,5 bis 7,5 Monaten) in den neuen Bundesländern im Einsatz. Jede Einsatzperiode mußte nach vorheriger Prüfung erneut durch das BMF genehmigt werden.
Diese mannstarke, mobile, verdeckt arbeitende und rund um die Uhr einsetzbare Observations- und Zugriffseinheit wurde an den diversen Brennpunkten des illegalen Zigarettengeschäfts in den neuen Bundesländern in verschiedenen Hotels sowohl wohn- wie arbeitsmäßig untergebracht.
Aus Tarn- und Geheimhaltungsgründen wurde der Standort mehrfach gewechselt, insbesondere auch deshalb, um den verfolgten Täterkreisen keine Möglichkeit der Enttarnung, der Feststellung der Einsatzschwerpunkte sowie der Ermittlungstechniken und -taktiken zu geben.
Im Laufe der über 6 Jahre andauernden Tätigkeit der Soko „Blauer Dunst" waren insgesamt 200 Beamte des mittleren und des gehobenen Dienstes im Abordnungsweg im Einsatz.
Der überaus erfolgreiche Einsatz der Soko „Blauer Dunst" in den Jahren 1991 bis 1997 spiegelt sich in folgenden bemerkenswerten und aussagekräftigen Zahlen wider:
- Anzahl der insgesamt eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen
Steuerhinterziehung/-hehlerei
6.787 Ermittlungsverfahren (= ca. 40.554 Stück Zigaretten je Ermittlungsverfahren)
- Sichergestellte/beschlagnahmte Zigaretten
275.237.851 Stück (= 1.376.190 Stangen)
Dies entspricht dem Volumen von 28 Sattelschleppern
- Verhinderter Steuerschaden
- 69 Millionen DM
- Schwarzmarktwert der beschlagnahmten Zigaretten
- 37 Millionen DM
- Verhinderter illegaler Gewinn
19,3 Millionen DM
- Sichergestelltes/beschlagnahmtes Bargeld
600.000,— DM
6.750,— US-Dollar
- Sichergestellte/beschlagnahmte Kfz
739 Kfz
- Sonstige sichergestellte/beschlagnahmte Gegenstände
Reiner Alkohol: 55.410 Liter
Spirituosen: 7.454 Liter
Wein und Sekt: 20 Liter
Kaffee: 576 kg
Kaviar: 19 kg
Haschisch: 646 Gramm
Marihuana: 18 Gramm
Raubkopien: 2.585 Stück
Funktelefone: 108 Stück
Funkgeräte: 5o Stück
Sonstige Gegenstände:
Diverse Waffen, Munition, verbotene Gegenstände, Zigarren, Parfüm, Falsifikate, Nachtsichtgeräte, Ferngläser, Diebesgut (1 Kleinbagger, 261 St. Winkelschleifer, 30.900 St. Anabolikatabletten, Washingtoner Artenschutzwaren, etc.)
- Sonstige aufgedeckte/ermittelte Delikte
Verstöße gegen das BtmG
Allgemeine Eigentumsdelikte (Kfz-/sonstige Diebstähle, Aufgriff von Diebesgut und Hehlerware) Kennzeichenmißbräuche
Trunkenheitsdelikte im Straßenverkehr
Verstöße gegen das Asylverfahrensgesetz
Illegale Einreisen
Geldwäschedelikte
Daneben erfolgten zahlreiche Festnahmen aufgrund von INPOL-Ausschreibungen
- Nationalitäten der Täter:
Bezogen auf den Berichtszeitraum gehörten die von der Soko aufgegriffenen Täter schwerpunktmäßig folgenden Nationalitäten an:
Vietnamesen (VN) |
2.452 |
Sowjetunion (SU) |
30 |
Polen (PL) |
1.865 |
Jugoslawen (YU) |
29 |
Deutsche (D) |
328 |
Türken (TR) |
25 |
GUS-Staaten (GUS) |
231 |
Bulgaren (BG) |
24 |
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sowie weitere 25 Nationalitäten mit Täterzahlen deutlich unter 20 pro Nationalität.
Täter unbekannter Nationalität: 1.703
Laut Statistik wurden bis zum Zeitpunkt 31. März 1998 in den von der Soko „Blauer Dunst" eingeleiteten Ermittlungsverfahren 1.907 Strafbefehle mit insgesamt 3.065.599 DM Geldstrafe ausgesprochen, 3.547 Monate = 296 Jahre Freiheitsstrafe verhängt, 3.215 Steuerbescheide mit einer Abgabenanforderung von insgesamt 18.651.531 DM erstellt.
Hinter oben genannten nüchternen statistischen Zahlen verbirgt sich ein äußerst hartes und gefährliches Einsatzgeschehen der Soko „Blauer Dunst".
Dieses war geprägt von der ständig steigenden Risiko- und Gewaltbereitschaft sowie der unvergleichlichen und dauernd wachsenden Brutalität der Täter, welche darin gipfelte, daß eine größere Anzahl an leicht bis schwerer verletzten Soko-Einsatzkräften zu beklagen war und nicht zuletzt mehrere Dienstfahrzeuge stark beschädigt wurden oder aber als Totalschäden endeten.
Das rücksichtslose und gewaltbereite Täterverhalten mit entsprechend hohem Gefährdungspotential in erster Linie für die Soko-Einsatzkräfte — aber auch für unbeteiligte Dritte — läßt sich anhand der beispielhaften Aufzählung nur im geringsten erahnen.
Nachfolgende beispielhafte Aufzählung soll verdeutlichen, welches Gewaltpotential sowie welch hohe kriminelle Energie und Brutalität die Täter bei Ausübung ihrer Tat an den Tag legten.
- Nichtbeachten von vorschriftsmäßig gegebenen Anhaltezeichen mit Anhaltekelle und Sondersignal und anschließende Flucht mit dem Täterfahrzeug mit stark überhöhter Geschwindigkeit
- Fahren in Schlangenlinien oder entgegen der Fahrtrichtung auf Autobahnen
- Rammen und Abdrängen von D-Kfz und unbeteiligten Straßenverkehrsteilnehmern
- Durchbrechen von Absperrungen und Blockaden sowie gezieltes Zufahren auf Soko-Einsatzkräfte
- Plötzliches abruptes Zurücklassen von Fluchtfahrzeugen im
fließenden Straßenverkehr nach aussichtsloser Flucht - Vehemente, teilweise nur mit massiver körperlicher Gewalt zu brechende Widerstände bei Flucht- und Festnahmeaktionen
- Angriffe mit Messer, Gas-/Schreckschußpistolen und sonstigen verbotenen bzw. anderen Gegenständen auf Soko-Beamte
- Massive Bedrohung und Einkesselung von Soko-Einsatzkräften durch sich zusammenrottende Straftätergruppierungen
Veranlaßt durch die genannten Bedrohungs-, Gefährdungs- und Angriffssituationen wurden gegen die entsprechenden Täter Strafanträge und -anzeigen gestellt u.a. wegen folgender Delikte:
- versuchter Mord
- Körperverletzung und schwerer Körperverletzung
- Körperverletzung mit Todesfolge
- schwerer Landfriedensbruch
- Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
- Verkehrsgefährdungen
- gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
- unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
- Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel
- Sachbeschädigung
Nur dem besonnenen, umsichtigen Auftreten und Einschreiten der bewährten und bereits längerfristig erfolgreich eingesetzten Beamten der Soko „Blauer Dunst" war es zu verdanken, daß trotz der hohen Gefährdungslage und der hohen kriminellen Energie der Täterseite keine ernsteren Personenschäden zu beklagen waren und bei entsprechend heiklen Ermittlungs- und Zugriffsaktionen keine Eskalation der Situation entstand.
Denn insbesondere zu Zeiten, als noch die GUS-Streitkräfte in den neuen Bundesländern stationiert waren, welche in erheblichem Maße am illegalen Geschäft mit den Schmuggelzigaretten beteiligt waren, kam es zu manch brenzligen Situationen. Gleiches gilt für die von der Soko „Blauer Dunst" geplanten und durchgeführten Großeinsätze in den mit überwiegend vietnamesischen Staatsangehörigen besetzten Asylanten-Wohnheimen, die im Prinzip als sogenannte „rechtsfreie Räume" anzusehen waren. Nicht selten kam es hier zu äußerst gefährlichen und angespannten Situationen, die nur durch ein entsprechend starkes Aufgebot an Einsatzkräften und deeskalierenden Maßnahmen bewältigt werden konnten.
Doch Sicherstellungen von Schmuggelzigaretten in großen Mengen, Waffen, verbotenen Gegenständen, Diebesgut und Hehlerware, Feststellungen von Straftaten verschiedenster Arten sowie Festnahmen von illegal eingereisten Personen sowie per Haftbefehl gesuchten Straftätern sprachen für sich und bestätigten umso mehr, daß es sich bei diesen Wohnheimen um die Lager- und Umschlagplätze von illegalen Waren aller Art, dem Hort krimineller Machenschaften und dem Dreh-und Angelpunkt des illegalen Zigarettengeschäftes handelte. Alles in allem stand die Soko „Blauer Dunst" während ihrer über 6-jährigen Einsatztätigkeit einem hervorragend ausgerüsteten, hochtechnologisierten und äußerst gewaltbereiten Gegner mit ausgeprägtem logistischem Unterbau gegenüber, dessen organisierte, arbeitsteilige und verdeckte Vorgehens' sowie zielgerichtete und extrem kriminelle Handlungsweise von enormer Professionalität geprägt war.
Nicht zuletzt hat die Soko „Blauer Dunst" durch ihr geschlossenes, unerschrockenes und zielgerichtetes Vorgehen, ihre ständige Präsenz und den dadurch erzeugten dauernden Verfolgungsdruck eine enorme Präventivwirkung erzeugt und einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit geleistet.
Durch pressewirksame Öffentlichkeitsarbeit wurde der Bevölkerung außerdem gezeigt, daß die Zollverwaltung der organisierten Kriminalität im Bereich des internationalen Zigaretten- und Alkoholschmuggels sowie dem illegalen Handel mit diesen Waren durch den Einsatz der Soko „Blauer Dunst" ein entscheidendes und wirksames Mittel entgegenzusetzen hatte.
Aufgrund politischer Vorgaben und geänderter Einsatzkonzepte wurde die ehemalige Soko „Blauer Dunst" in ihrer bestehenden Form und Einsatzkonzipierung zum Jahresende 1997 aufgelöst und mit der seit Februar 1996 beim ZFA Berlin angesiedelten Arbeitsgruppe ZOK (Zigaretten Organisierte Kriminalität) zu einer neuen Projektgruppe „OKZIAL" (Organisierte Kriminalität Zigaretten und Alkohol) unter Leitung des ZKA zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in den Bereichen Zigaretten-/Alkoholschmuggel — bezogen auf Berlin und die neuen Bundesländer — zusammengeführt.
Diese Projektgruppe setzte sich aus einem mit insgesamt 18 Mitarbeitern besetzten Ermittlungsbereich und einem mit insgesamt 41 Mitarbeitern besetzten Operativbereich zusammen, dessen Observations-/Operativ- und Unterstützungsmaßnahmen durch die Einsatzkräfte der ehemaligen Soko „Blauer Dunst" wahrgenommen wurden.
Zum Ende des Jahres 1998 wurde die Projektgruppe „OKZIAL" vom BMF aufgelöst. Eine Entscheidung, welche bei unvermindert anhaltendem Schmuggel von unversteuerten/unverzollten Zigaretten, wieder steigenden Steuerausfällen und ständig wachsender Kriminalität in diesem Deliktsfeld für den Steuerbürger und insbesondere für die Angehörigen des Zolls nicht nachvollzogen werden kann.
Es darf einen also nicht wundern, wenn in der Öffentlichkeit und speziell im Kollegenkreis zu Recht der immer stärker werdende Eindruck entsteht, daß sich der Zoll so peu ä peu von seinen ureigentlichen Aufgaben und Pflichten zurückzieht, während die Polizei die Zeichen der Zeit erkannt hat und genau diese Lücke schließt. So gibt es mittlerweile gerade in den neuen Bundesländern und Berlin bei vielen Polizeidienststellen eigene Arbeits- bzw. Ermittlungsgruppen, die sich nur mit den Erscheinungsformen dieses Deliktsbereiches sowie der damit verbundenen Rand- und Folgekriminalität befassen.
Man muß sich die Frage stellen: „Zoll quo vadis?!" und es bleibt jedem selbst überlassen, sich seine eigenen Gedanken zu diesem Thema zu machen.
Als langjähriger verantwortlicher Leiter der Soko „Blauer Dunst" Juli 1992 bis Dezember 1997) und anschließender Leiter der Projektgruppe „OKZIAL" möchte ich es jedoch nicht versäumen, auf diesem Weg allen Einsatzkräften der Soko „Blauer Dunst" meinen Dank für ihre geleisteten Dienste, ihre hohe Motivation und ihr großes Engagement, ihre ständige Einsatzbereitschaft und ihren ungebrochenen, unermüdlichen Einsatzwillen sowie ihre entschlossene Tatkraft und den beherzten, furchtlosen und ausdauernden Einsatz bei äußerst schwierigen und gefährlichen Situationen und Einsatzlagen auszusprechen.
Durch ihren Pioniergeist und ihre Bereitschaft, im Rahmen ständiger und längerfristiger Abordnungen (bis zu 7,5 Monaten) einen Dienst mit überaus großen Anforderungen unter vielen Entbehrungen zu verrichten (Abwesenheit von Familie, Freundes-und Bekanntenkreis, dauerhaftes und engstes Zusammenwohnen und -arbeiten in Hotels und sonstigen, teilweise nicht gerade einladenden Unterkünften, ständige Präsenz und Einsatzbereitschaft, etc.), ist es gelungen, die in den neuen Bundesländern und Berlin aufgrund der Wiedervereinigung und der damit einhergehenden besonderen Verhältnisse entstandene und aufkeimende Kriminalität im Zigarettenbereich anhaltend, wirkungsvoll und erfolgreich zu bekämpfen.
Es läßt sich mit Sicherheit leicht nachvollziehen, daß diese permanent und unvermindert fortbestehenden besonderen Einsatzbedingungen auf Dauer unmittelbare und anhaltende Auswirkungen auf die physische und psychische Belastbarkeit und somit auf die Persönlichkeit der Einsatzkräfte haben würde und daher nicht jedermanns Sache ist. Dies setzte wiederum eine zielgerichtete und sorgfältige Personalgewinnung und Bewerberauswahl voraus. Nur physisch wie psychisch extrem belastbare, unerschrockene, furchtlose und über jeden Zweifel erhabene Idealisten mit starkem Charakter und ungebrochenem Einsatzwillen, dem nötigen Portion Mut und gleichzeitiger Besonnenheit — geprägt vom Hang zum Besonderen — konnten einen Dienst mit derart harten Einsatzbedingungen und -geschehen längerfristig verrichten.
Gleichzeitig gilt mein Dank den Zolldienststellen für zur Verfügung gestelltes Personal und Ausrüstung sowie beteiligten Polizei- und anderen Behörden für ihre Einsatzunterstützung. Insbesondere sind hier die stets gute Zusammenarbeit mit dem ZKA und dem ZFA Potsdam, an das alle Soko-Beamten abgeordnet waren, zu nennen.
Nicht zu vergessen sind die durch das ZKA ermöglichten und veranstalteten Aus- und Fortbildungsmaßnahmen in Spezialbereichen sowie die logistische und sächliche Unterstützung mit hervorragendem Ausrüstungsmaterial.